Warum man die Arbeitslosigkeit und die Tafeln gleichzeitig abschaffen muss
Peter Grottian
Fast 900 Tafeln versorgen vor allem in den Städten die Armen mit notwendigen Lebensmitteln. Die Tafelbewegung gehört zu den erstaunlichsten sozialen Bewegungen der Republik. Das Lob für die Tafeln ist politikübergreifend überschwänglich: Menschenwürdige Versorgung und bürgerschaftliches Engagement haben eine scheinbar gute Verbindung gefunden. Aber in Wahrheit ist der Erfolg ambivalent: Die Blüte der Tafeln ist gleichzeitig der Niedergang des bröckelnden Sozialstaats.
Die bewusste Trennung von Sozialstaats- und Tafeldiskussion kommt der herrschenden Politik sehr entgegen. Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zu Hartz IV von Anfang 2010 hat eine Diskussion über den wirklichen Bedarf Arbeitsloser und Bedürftiger an materiellen Ressourcen und demokratischer Teilhabe nicht stattgefunden. Nach anfänglicher steriler Aufgeregtheit über Hartz IV-Erhöhungen oder -Senkungen stimmte Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) den Grundton für die zukünftige Debatte an: Deckel auf die bisherigen Regelsätze, möglichst keine Änderungen und kleine Verbesserungen für Kinder im Sachmittelbereich. Die Bundesregierung muss demnach mit ausdrücklicher Billigung des höchsten Gerichts im Prinzip fast nichts ändern; sie muss die bestehende Praxis nur besser begründen und statistisch absichern. Den Richterinnen und Richtern ist nicht aufgefallen, dass ein Mensch kaum menschengerecht von 3,94 Euro pro Tag leben kann und die Fahrt mit der Deutschen Bahn zum Besuch eines nahestehenden Menschen zur Innenausstattung der menschlichen Würde gehören sollte. Kurzum: An der Hartz IV-Front ist Ruhigstellung mit symbolischen Verbesserungen die weitgehend unbestritten vertretene Linie der Bundesministerin. mehr bei der Berliner Zeitung...
Quelle: Berliner Zeitung
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