Dienstag, 6. Juli 2010

Die Revolution der Terra Preta

von Ute Scheub

Die Terra Preta hat das Potenzial, mehrere Krisen gleichzeitig zu überwinden: die Klimakrise, die Hungerkatastrophe und die Hygienemisere in den Slums. Und das alles ohne Agrochemie, sondern in einer Agrarrevolution von unten. Ute Scheub besuchte einen der Wiederentdecker der Terra Preta, den Bodenkundler Haiko Pieplow, am nördlichen Rand von Berlin.

Haiko Pieplow greift in einen seiner Pflanzkübel und lässt eine der fruchtbarsten Erden der Welt durch die Finger krümeln. Der promovierte Bodenkundler wird dabei malerisch umrahmt von bunten Gemüsen und mediterranen Gewächsen, die aus dem Boden seines Wintergartens am Rande von Berlin wachsen. Bodensubstrate auf Basis von Biokohle können Abfälle in Rohstoffe umwandeln und damit eine echte regionale Kreislaufwirtschaft initiieren, erläutert der Agraringenieur. Weltweit angewandt, könnte diese Methode rund 20 Prozent des Kohlendioxids aus der Luft holen und zugleich die Böden dauerhaft fruchtbar machen. Der Gehalt an Treibhausgasen in der Atmosphäre würde damit entscheidend verringert und gleichzeitig der Hunger bekämpft. Schwarzerde – hergestellt von Landwirten und Kleinbäuerinnen, Hobbygärtnern und SlumbewohnerInnen – könne eine buchstäbliche Graswurzelrevolution auslösen.

Wintergarten am Passivenergiehaus
Wintergarten am Passivenergiehaus
Terra Preta do Indio, so lautet der portugiesische Name für die Schwarzerde aus dem Amazonasgebiet, die erstmals von früheren Indiokulturen angelegt wurde. Deutsche Wissenschaftler, darunter Haiko Pieplow, versuchen seit 2005 dem Geheimnis ihrer Herstellung auf die Spur zu kommen. Pieplows Garten ist regelrecht überwuchert mit Gemüsen, Früchten, Blumen und Schmetterlingsgräsern. Hinter der südlichen Glaswand seines raffiniert gebauten und raffiniert belüfteten Passivenergiehauses züchtet er Tomaten, Weintrauben, Guaven, Feigen und Granatäpfel. Im Garten gedeihen typische Obste und Gemüse aus unseren Breitengraden. Ein Hauch von Paradies durchzieht das ganze Grundstück. Wie Pieplow durch das Haus führt und all die Behälter zeigt, in denen Abfälle wiederverwertet werden – Essensreste, Holzspäne, Brauchwasser, Kot, Urin -, da wirkt er wie ein moderner Alchemist, der aus Exkrementen Gold macht – schwarzes Gold.

Feigenbaum mitten in Berlin
Feigenbaum mitten in Berlin


Alchemie, erster Eimer


Im holzverkleideten Badezimmer steht neben dem Wasserklosett für die Gäste ein weißer Behälter, und daneben ein Pott mit feiner Holzkohle. Dies ist die luftdicht verschlossene Trocken-Trenntoilette. Dass sie nicht stinkt und nicht einmal ansatzweise müffelt, ist der Holzkohle zu verdanken, die das Ehepaar Pieplow nach jeder Benutzung per Schäufelchen darüberstreut. „Wichtig ist, Kot und Urin zu trennen“, erklärt der Hausherr und zeigt zwei Pipi-Behälterchen, die der männlichen und weiblichen Anatomie angepasst sind. Urin enthält viel Stickstoff und für das Wachstum der Pflanzen wertvollen Phosphor, der sich jedoch bei der Herstellung der Terra Preta ähnlichen Schwarzerden negativ auswirkt. Pieplow bewahrt sein „Goldwasser“ auf, es dient ihm zehnfach verdünnt in der Vegetationszeit als „ausgezeichneter Dünger“.

Und die Exkremente? Es heißt doch überall, dass es gefährlich sei, menschliche Exkremente auf Äcker aufzubringen? Kot sei ein Wertstoff, klärt er auf. Um ihn wirksam aufzubereiten, müsse er jedoch mindestens ein halbes Jahr lang richtig behandelt werden. Pieplow zitiert den Künstler und Visionär Friedrich Hundertwasser: „Natürlich ist es etwas Ungeheuerliches, wenn der Abfallkübel in den Mittelpunkt unserer Wohnung kommt und die Humustoilette auf den schönsten Platz zum Ehrensitz wird. Das ist jedoch genau die Kehrtwendung, die unsere Gesellschaft, unsere Zivilisation, jetzt nehmen muss, wenn sie überleben will.“

Wer Terra Preta produzieren wolle, könne das aber auch ohne Kotverwertung tun, stellt Pieplow klar. Holzkohle, Küchen- und/oder Gartenabfälle genügten völlig. Doch für die Bewohner von kanalisationslosen Slums in südlichen Ländern sei die neue Toilette perspektivisch ein Segen. „Jeder kann sprichwörtlich sein kleines Geschäft damit machen, Terra Preta herstellen und gleichzeitig teure Entsorgungsanlagen sparen.“ Und er berichtet davon, dass schon die alten Römer Götter der Abfallverwertung angebetet haben: Stercutius, den Gott des Kotes, Crepitus, den Gott des Abwindes, und Cloacina, die Göttin der Abzugskanäle.



Das ist Terra Preta
Im Jahr 1542 befuhr der spanische Conquistador Francisco de Orellana den Amazonas, um das legendäre El Dorado zu suchen. Er berichtete von riesigen Städten an seinen Ufern, in denen Millionen Indios lebten. Da spätere Expeditionen nichts mehr fanden, glaubte man lange, Orellana habe gelogen. Dem Spanier entging indes, dass er tatsächlich ein El Dorado gefunden hatte: eine Kultur, die auf dem „schwarzen Gold der Erde“ basierte. Das Wissen um die Herstellung der Indianer-Schwarzerde, die anders als der nährstoffarme Regenwaldboden sehr fruchtbar ist, ging jedoch mit der Ausrottung der Ureinwohner verloren und gelangte erst in den 1990er Jahren in den Fokus von Forschern. Die uralten, teilweise meterdicken Schichten am Amazonas bestehen aus einer Mischung von Holzkohle, Exkrementen, Knochen und organischen Abfällen, durchsetzt mit Tonscherben – möglicherweise Überreste von riesigen Tongefäßen, in denen Siedlungsabfälle zu fruchtbarem Dauerhumus für Hochbeete umgewandelt wurden. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Milchsäurefermentierung, wie sie seit Jahrtausenden zur Nahrungsmittelkonservierung genutzt wird – Beispiel Sauerkraut.
Mehr über die Geschichte der Terra Preta erfahren Sie hier: Terra Preta – Biokohle – Klimafarming.



Alchemie, zweiter Eimer: Kohl und Kohle



Im Wirtschaftsraum steht ein roter Plastikeimer mit Küchenabfällen und Holzkohle, einige Lagen darunter auch das Kotgemisch. Haiko Pieplow hebt den Deckel hoch. „Riechen Sie was?“ Nein, genauso wenig wie auf dem Örtchen. Die Abfälle, erklärt er, müssten luftdicht abgeschlossen und gepresst werden („Bokashi“), damit die Milchsäurevergärung beginne. Die dafür nötigen Mikroorganismen könne man kaufen, aber im Prinzip seien sie auf Obst und Gemüse ausreichend vorhanden. Auch die möglichst feine Holzkohle könne man entweder erstehen oder selbst produzieren. Er selbst stellt eine Dose mit Sägespänen über Nacht in seinen Kamin, am nächsten Morgen sind die Späne geröstet und die Biokohle ist fertig. „Man kommt von selbst auf die richtigen Ideen, wenn man den ersten Sack Grillkohle zerkleinert hat und schwarz wie ein Schornsteinfeger ist“, sagt er schmunzelnd.


Bokashi
Bokashi kommt aus dem Japanischen, wo es “Allerlei” bedeutet. In der EM Technologie bezieht sich das „allerlei“ auf eine Mischung aus verschiedensten organischen Abfällen wie Mist, Küchenreste, Blätter, Gras, die unter Luftabschluss vergoren werden. Auf diese Weise entsteht eine besondere Form von Kompost, die durch eine Vielfalt von fermentativen Mikroben bewirkt wird. Die Fermentation schließt ab, wenn der pH Wert unter 4 abgesunken ist.



Alchemie, dritter Eimer: Würmer satt



Haiko Pieplow führt in den Garten, dorthin, wo nach etwa einem halben Jahr auch das Bokashi-Gemisch landet: zu den Kompostbehältern. „Erst in den Mägen der Regenwürmer und Kompostbewohner entsteht die perfekte Schwarzerde“, erklärt er. Ist Terra Preta also Regenwurm-Sklaverei? „Nein“, lächelt er. „Eher eine Symbiose. Wir füttern sie ja gut. In unserem Kompost gibt es regelrechte Wurm-Nester.“

TP-Kompostwurm + Ko

„Holzkohleverwendung und Milchsäurevergärung sind weltweit bekannte uralte Verfahren, die niemand patentieren kann. Die Indios am Amazonas kannten das Geheimnis“, erklärt der Agraringenieur. Und mit großer Wahrscheinlichkeit haben auch andere Völker ihre fruchtbaren Gartenerden auf ganz ähnliche Weise hergestellt. Es ist einfach viel zu naheliegend, als dass nicht viele Bauern unabhängig voneinander ähnliche Methoden entwickelt hätten. Den Holzkohlenstaub jedenfalls kann man in den Böden der meisten landwirtschaftlich genutzten Regionen der Welt nachweisen.snokEinige kleine Firmen, mit denen Haiko Pieplow teilweise zusammenarbeitet, bieten die Zutaten an, aber man kann genauso selbst experimentieren, um Terra Preta ähnliche Erden herzustellen. Er hofft deshalb auf die weltweite Kreativität von Kleinbauern und Hobbygärtnerinnen, um die Graswurzelrevolution von unten zu starten und zu verhindern, dass weltweit agierende Konzerne ein patentrechtlich geschütztes Terra-Preta-Monopol aufbauen.



Das kann Terra Preta 
Schwarzerde kann Kunstdünger, Pestizide und Gentechnik ersetzen und damit perspektivisch die Macht der Agrochemie von unten aushöhlen. Terra-Preta-Böden erschöpfen sich nicht, sondern können sogar nachwachsen. Sie sind gut durchlüftet, halten das Wasser viel besser als gewöhnliche Böden, Nährstoffe waschen nicht aus. Auf Terra Preta Böden wachsen kerngesunde Pflanzen. Warum? Das erste Geheimnis ist die Holzkohle. Die schwammartige poröse Struktur der Biokohle speichert Wasser und Nährstoffe. In ihren Hohlräumen – und das ist das zweite Geheimnis – siedeln sich komplexe Lebensgemeinschaften von Mikroorganismen an. Besonders wichtig sind milchsäurebildende Mikroorganismen. Der Effekt wird in der Landwirtschaft auch durch die aus Japan stammenden „Effektiven Mikroorganismen“ (EM) zur Bodenverbesserung genutzt. Für Terra Preta wird zuerst eine Holzkohlen-Silage (auf Japanisch „Bokashi“) durch milchsaure Vergärung von organischem Material hergestellt (Küchenabfälle, Stroh, Dung, menschlicher Kot). Die gewonnene Substanz dient als willkommenes Futter für Regenwürmer und anderes Getier, die zum Dank schwarze Erde ausscheiden. Terra Preta ist im Prinzip auf jedem Balkon, in jedem Kleingarten und in jeder Komposttonne herstellbar. Selbst Städter könnten mit dieser Schwarzerde ihre eigenen Lebensmittel auf Balkonen und im Kleingarten erzeugen.


Biokohle können Sie bei Swiss-Biochar erwerben (www.swiss-biochar.com). Weitere Rohstoffe und Materialien für die Herstellung von Bokashi finden Sie u.a. bei Triaterra und bei Amino-Comp).

Quelle: ithaka

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