Mittwoch, 14. Juli 2010

Politik und Moral: Divide et impera

Von Flatter | Feynsinn | – Wie sich nicht nur in der Reaktion auf meinen Artikel über sinnlose Verbote zeigte, der zu einer unsinnigen Debatte übers Rauchen führte, ist eine der erfolgreichsten Strategien zur Aushöhlung des politischen Diskurses nach wie vor eine heuchlerische Moralität, die ganz auf Affekte setzt.

Vor allem auf solche, bei denen man sicher sein kann, daß sich tiefe Gräben ziehen durch ein Volk einig dumm gehaltener Bürger, die gern ihre Reflexe pflegen und dabei immer fix das Ganze aus den Augen verlieren. Da wird dem Nachbarn sofort der Krieg erklärt, weil der nämlich ein potentieller Gewalttäter ist.



Gehen wir einige Schritte zurück: In “Triebstruktur und Gesellschaft” befaßte sich Herbert Marcuse 1957 am Rande mit den Begriff “obszön”, dem zeitgenössischen Urteil über alles Sexuelle, Nacktheit und körperliche Liebe. Obszön fand er erklärtermaßen hingegen das Auftreten eines Generals, der sich “im vollen Wichs und Ornat” (aus dem Gedächtnis zitiert) stolz der Öffentlichkeit präsentierte, ein Mann, der fürs massenhafte Abschlachten von Zivilisten zuständig war. “Unmoralisch” aber war schon ein Kuß in der Öffentlichkeit.

Diesbezüglich haben sich die Symptome geändert. Aber mit der Knechtung des Eros durch Marktwirtschaft und Pornographie sind die Ursachen nicht beseitigt, und die “Sublimierung” hat eben nicht eine neue Kultur auf Basis der (freien) Liebe geschaffen.

Sie ist vielmehr eine Moral als Tagesgeschäft, die auf keiner Ethik beruht oder eine nachvollziehbare Vorstellung von ‘richtig’ und ‘falsch’ vermittelt. Das Moralisieren dient schlicht der Entfachung von Affekt und Eifer, wie ein Knochen, der in einem Haufen hungriger Hunde geworfen wird.

Es braucht einen Anlaß, der Emotionen weckt. Die ‘Kommunikation’ darüber muß möglichst polemisch sein, die zu erwartenden Standpunkte möglichst extrem und unversöhnlich. Was dem entgegensteht, sind Toleranz, Vernunft und Besonnenheit, die Fähigkeit, von der eingenen Sicht zu abstrahieren und den Gegner als grundsätzlich gleichwertig anzuerkennen. Wie bewerkstelligt man das?

Im folgenden einige der wichtigsten Elemente der Strategie zur Spaltung einer Gruppe oder Bevölkerung:
  • Die Wertigkeit muß von vornherein feststehen. Das moralische Vorurteil teilt ganz klar in Schuldige/Täter und Unschuldige/Opfer. Die Täter sind minderwertig. Ihre Argumente zur vermeintlichen Sache gelten allesamt als Rechtfertigungen für etwas, das gar nicht zu rechtfertigen ist. Im Gegenteil gilt dies als mangelnde Reue, Verweigerung der Läuterung, Starrsinn, Dummheit und Sünde.
  • Die Minderwertigen sollen möglichst Angst haben. Man muß ihnen etwas nehmen oder damit wenigstens drohen.
  • Die Höherwertigen sollten möglichst Angst haben. Sie könnten infiziert werden, ihre Kultur, ihre Kinder, ihre Gesundheit oder ihr Leben muß vermeintlich in Gefahr sein.
  • Zur Abwendung des Problems müssen möglichst rigorose Maßnahmen proklamiert werden. Verbote, Nulltoleranz, Übergriffe in die Intimsphäre, Zwang und Entrechtung.
  • Der Empörungslevel ist möglichst hochzuhalten. Moderate Argumente, Kompromisse, Aufrufe zur Toleranz, Humor und Relativierungen sollten nicht zuviel Raum gewinnen. Aggressive Anfeindungen, Übergriffe, Wutausbrüche, Drohungen und Gewalt sind gute Aufhänger für weitere Eskalationen.
  • (Lebens-)Gefahr durch Deeskalation. Wer abwiegelt, relativiert oder nach moderaten Lösungen sucht, macht sich an jedem weiteren Schaden mitschuldig. Meist an Todesopfern.
  • Totalitärer Ansatz. Ein Fall ist schon zuviel und birgt die Gefahr der Epidemie. Ausnahmen sind nicht zuzulassen.
  • Moralische Feedbackschleife. Daß es überhaupt zu einer eskalierenden Auseinandersetzung kommt, ist der ‘unmoralischen’ Partei anzulasten als weiteres Übel, das durch ihre Verwerflichkeit über die Welt kommt.

Diese Elemente finden sich alle oder teilweise in moralisch vorgeprägten Debatten, die nichts anderes im Sinn haben als Diskriminierung – und zwar nicht nur die der ‘Minderwertigen’, sondern in der logischen Folge aller Beteiligten. “Diskriminieren” bedeutet abtrennen.

Solche Diskriminierung ist Kern und tragende Säule des “divide et impera”- Prinzips. Solage das Pack sich untereinander schlägt, wird es keine Kritik an der Herrschaft üben.

Einige Beispiele aus diesem Land für solche Diskussionen sind die moralische Abwertung von Arbeitslosen, Muslimen, Hippies, Kiffern, Schwulen, Trinkern, Dicken, Linken, Rauchern, Raubkopierern, Pornokonsumenten, (“kriminellen”) Ausländern.

Wer weiß, was morgen kommt? Sollte also jemandem auffallen, daß er sich in einer Debatte befindet, die die genannten Merkmale trägt, sei ihm/ihr an dieser Stelle wärmstens ans Herz gelegt, darüber nachzudenken, wem das ganze Gewese dient. Und ob es nicht Diskussionen gibt, die wichtiger wären.

Quelle: Feynsinn

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