Freitag, 18. Juni 2010

11 Jahre Leben ohne Geld - ein ganz besonderes Jubiläum

Heidemarie Schwermer
Als ich vor elf Jahren (1996) den Entschluss fasste, eine Zeit lang ganz aufs Geld zu verzichten, hätte ich niemals für möglich gehalten, dass Leben so sein kann, wie es sich mir jetzt präsentiert: Abenteuerlich, freudvoll und spannend. 

Aus dem angedachten einem Jahr sind elf geworden, und das Experiment hat sich längst in eine neue Lebensform gewandelt. Keineswegs hat damals eine Notwendigkeit für mich bestanden, diesen Schritt zu vollziehen. Meine Praxis als Psychotherapeutin ernährte und erfreute mich. Dennoch gab ich sie auf, kündigte die Mietwohnung, die Krankenversicherung und verschenkte allen Besitz, um mein Lebensideal umzusetzen, von dem ich schon solange träumte.

Eine Welt ohne Geld, in der die Menschen liebevoll miteinander umgehen und sich gegenseitig unterstützen. Diese Idee wollte ich nur kurzfristig ausprobieren, als Experiment sozusagen, weil eine dauerhafte Einrichtung in „ein Leben ohne Geld“ mir unmöglich erschien. Danach wollte ich von vorn beginnen mit einem kleinen Zimmer, ein paar zahlenden Klienten und schrittweise in meinen alten Lebensstandard zurückkehren. Bei meinem selbständigen Beruf würde das kein Problem sein, zumal ich schon Erfahrung darin und einige Male einen Abschluss mit entsprechendem Neubeginn getätigt hatte in der Vergangenheit.

Nach meinem Studium beispielsweise machte ich einen Schnitt, ging auf eine Weltreise, von der ich nach einem Jahr in die Heimat und somit in die alten Strukturen zurückkehrte.

Diesmal war alles anders, denn durch den Tauschring hatte ich mir eine Basis geschaffen, um ohne Angst mein Experiment durchzuziehen. In einem Tauschring spielt Geld nämlich gar keine Rolle mehr, weil hier die Teilnehmer mit der eigenen Dienstleistung „bezahlen“. Haare schneiden gegen Babysitten, Auto reparieren gegen Fenster putzen, wobei sich nicht unbedingt zwei TauscherInnen ergänzen sondern dritte hinzugezogen werden können.

Nun möchte ich nicht verhehlen, dass diese Art des Umgangs einige Probleme mit sich brachte. Wollte ich anfangs deshalb hauptsächlich den ewigen Nörglern den Wind aus den Segeln nehmen, die mir ständig in den Ohren lagen mit negativen Äußerungen über Unzuverlässigkeiten der Teilnehmer im Tauschring, die ja ohne Bezahlung kein wirkliches Interesse hätten, wuchs ich so nach und nach in etwas hinein, das mich mit großer Freude erfüllte.

Die Abschaffung des Geldes bescherte mir eine Öffnung in Kreativität, wie ich sie vorher nicht kannte. Das Tauschen und Teilen, wie es normalerweise nur unter Freunden und Verwandten geschieht, ließ mich neue Fähigkeiten an mir selber entdecken, neue Interessen aufspüren, was eine Bereicherung und Fülle im Alltag darstellt.

Der Tauschring hatte sich als gewinnbringendes Unternehmen für alle Beteiligten entpuppt, auf dem sich etwas aufbauen ließ. Die Idee, für eine Zeit meinen Lebenstraum umzusetzen, konnte so Gestalt annehmen und mir eines Tages die nötige Kraft zum Handeln geben, was Entsetzen bei meinen Freunden und Verwandten auslöste, die mich in einer Gosse landen sahen, aus der es kein Entkommen geben würde.

Obdach- und Heimatlosigkeit führe automatisch ins Verderben, gäbe es sonst so viele heruntergekommene Menschen in unserer Gesellschaft? Und die Hungernden, die qualvoll den Tod erlebten, seien die nicht Beweis genug für ein unwürdiges Leben ohne Geld? Nein, dieser von mir gewählte Weg führe in die falsche Richtung. Besser wäre das Hineindenken in einen finanziellen Reichtum, denn Geld sei doch nichts Schlechtes.

Im Gegenteil, mit Geld ließe sich viel Gutes tun, und es sei einfach notwendig für unser Überleben. Die meisten Menschen trachteten deshalb nach starken Finanzen, was in zahlreichen Büchern behandelt wird.

Unverständnis oder Bewunderung für meinen Mut begleiten mein Tun seit Beginn, selten fordert es zur Nachahmung auf. Die Abschaffung des Geldes wird automatisch mit Armut gleichgesetzt, mit Verzicht, Verlust, keineswegs mit dem großen Gewinn, den ich erlebe. Hatten meine Diskussionspartner vor meinem Experiment den Satz: „ Heutzutage kann niemand freiwillig ohne Geld leben“ als Hauptargument verwendet, änderten sie ihn später in: „ Ja du kannst es, weil deine Kinder groß sind und du keine Verantwortung tragen musst. Aber für mich und die Gesellschaft ist das absolut nichts.“

Ich jedoch bin davon überzeugt, dass mein Modell übertragbar ist auf eine ganze Gesellschaft, wenn die Menschen bereit sind, wach und aufmerksam durchs Leben zu gehen, ihren Fokus auf andere Werte zu lenken. Dann nämlich können wir paradiesische Zustände erzielen, in denen die heutige Diskrepanz zwischen Arm und Reich aufgehoben und ein Ausgleich geschaffen wird. Nicht Naivität lässt mich die Schrecknisse ausblenden, die durch die Medien uns präsentiert werden, sondern meine langjährige Erfahrung. Sie ließ mich in etwas hineinwachsen, was meiner Vorstellungskraft zuvor nicht zugänglich war.

Es ist das Wissen um eine neue Daseinsform, die nichts mehr mit dem Ausgeliefertsein zu tun hat, in dem wir uns normalerweise befinden. Wir können unsere Opferhaltung aufgeben, um als tatkräftige Wesen miteinander zu kommunizieren. Es ist das Gefühl einer neuen Leichtigkeit in mir, der Leichtigkeit des Seins. Sie hat zu tun mit der Aufgabe meiner Ängste, Sorgen und anderer Gefühle, die mich lange Zeit blockierten oder mich in das Stöhnen über die Zustände in der Welt mit einstimmen ließen.

Damit möchte ich nicht behaupten, dass nun alle Probleme in meinem Leben beseitigt sind und ich still vor mich hinlächelnd durch die Gegend laufe. Es gibt immer wieder einmal Augenblicke des Zweifelns, wenn ich mich vom Lebensfluss abtrenne mit zu viel vorgestellten Ideen. Dann nämlich verstelle ich mir die Leichtigkeit, mit der die Dinge geschehen möchten. Oft handelt es sich dabei um ungeduldiges Eingreifen in etwas, was mir nicht zusteht. Jeden da zu lassen, wo er oder sie gerade steht, kein Tempo vor zu geben, sondern geduldig anzubieten und abzuwarten, ist die Kunst bei dem neuen Weg.

Auf der anderen Seite geht die Welt immer mehr zugrunde, unzählige Menschen spüren eine Verzweiflung ohne Ausweg in sich und der Alltag zeigt sich in einem grauen Gewand. In meinem neuen Lebensmodell gäbe es Ansätze für die Auflösung dieser Hoffnungslosigkeit, die sich breit macht und zäh wird. Aber missionieren möchte ich nicht und auch niemandem etwas überstülpen, ein Dilemma, in dem ich mich manchmal befinde, wenn die Ungeduld mich packt.

Um mich daraus zu befreien, schreibe ich dieses Buch.

Quelle: Gib und Nimm
Bild:

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